Wie man Wasser aus der Luft zapfen kannBerliner Zeitung 26.08.1998 Ressort: Wissenschaft Autor: Ute Kehse Ein Bremer Professor will mit einem von ihm entwickelten Pulvergemisch und Sonnenenergie Krisengebieten zu Trinkwasser verhelfen Wasser ist in vielen Regionen der Erde knapp und kostbar. Doch auch in Dürregebieten und Wüsten gibt es einen riesigen Wasserspeicher, der sich sogar selbst regeneriert: die Luft. In den Tropen enthält ein Kubikmeter Luft mehr als zwanzig Gramm Wasser, in der Wüste sind es immerhin noch etwa sieben Gramm. Norbert Räbiger, Professor am Institut für Umweltverfahrenstechnik der Universität Bremen, zapft diesen unsichtbaren Wasservorrat der Luft mit Hilfe sogenannter Adsorbentien an. Das sind Stoffe mit großer Oberfläche, die bestimmte Gase beispielsweise auch Wasserdampf durch die elektrische Anziehungskraft der Oberflächenatome an sich binden. Die Gewinnung von Wasser aus der Luft sei "im Prinzip schon ein altes Ansinnen", sagt Räbiger. "Aber die Umsetzung ist schwierig." Das erste Patent wurde bereits 1931 angemeldet. Inzwischen gibt es über sechzig Patente, von denen nach Angaben von Räbiger aber keines richtig funktioniert. Beträgt die relative Luftfeuchtigkeit mehr als hundert Prozent, etwa bei Nebel, ist es kein Problem, der Luft Wasser zu entziehen. In der Atacama-Wüste in Chile kann man beispielsweise die winzigen Nebeltropfen mit dünnen Netzen aus der Luft herauskämmen. Dasselbe Prinzip nutzen einige Kakteen, die die Feuchtigkeit mit ihren Stacheln und feinen Härchen auffangen. In nordamerikanischen Wüsten ist die Luft nachts ebenfalls oft mit Wasser gesättigt. Dann bildet sich Tau. Erfahrene Wanderer sowie Aufseher in US-Nationalparks ("Ranger") löschen mit diesem Tauwasser ihren Durst. Sie spannen eine Plastikfolie auf, die in der Nacht beschlägt. In die Mitte der Folie legen sie einen Stein und stellen eine Tasse darunter. Dort tropft das Kondenswasser hinein. Räbigers Verfahren beruht auf demselben Prinzip wie der "Ranger-Trick", funktioniert jedoch auch bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von weniger als hundert Prozent. Der Bremer nutzt die Tatsache, daß kalte Luft weniger Feuchtigkeit speichern kann als warme. Mit seinen Adsorbentien vor allem kohleähnlichen Pulvern, aber auch anorganischen Stoffen entzieht Räbiger der kühlen Nachtluft Wasser. "Die Feststoffe, die wir benutzen, saugen das Wasser aus der Luft wie ein Schwamm auf", sagt Räbiger. Mit gespeicherter Sonnenwärme erhitzt der Wissenschaftler die Feststoffe, so daß das Wasser noch einmal verdampft. Der Dampf wird in einem Kondensator abgekühlt, wobei destilliertes Wasser entsteht. Dem müssen noch Mineralien zugesetzt werden, bevor es getrunken werden kann. Die ausgewählten Adsorbentien sind an das jeweilige Wüstenklima angepaßt. Sie erfüllen ihren Dienst aber auch in kalten Trockengebieten. Genaueres will Räbiger über sein Material noch nicht verraten: Er ist gerade dabei, einen Patentantrag zu formulieren. Zur Zeit steht ein Labormuster des Apparates in Bremen in einem sogenannten Klimaschrank, der das Klima verschiedener Wüsten simulieren kann. Ende kommenden Jahres soll die erste Pilotanlage in Jordanien aufgestellt werden. Sie wird rund tausend Liter Wasser am Tag erzeugen. Als mögliche Anwender hat Räbiger Hilfsorganisationen und staatliche Einrichtungen im Auge. Sie könnten mit einer solchen Anlage Flüchtlinge in überfüllten Lagern versorgen, in denen oft Wassermangel herrscht. Die Maschine ist leicht zu bedienen: Das Wasser läßt sich per Knopfdruck entnehmen. "Das funktioniert allerdings nur, wenn die Benutzer an moderne Technik gewöhnt sind", hat Räbiger beobachtet. In vielen Regionen der Erde kommt es aber darauf an, daß die Trinkwassermaschine so aussieht, wie die Menschen es von ihrer Wasserstelle her gewohnt sind. Daher entwarf ein eigens beauftragter Industriedesigner für Räbiger jetzt ein Modell, das Ziehbrunnen in der Sahelzone ähnelt. Um Wasser zu bekommen, müssen die Menschen eine Treppe hinaufsteigen. Dann können sie ihren Eimer in den tiefer gelegenen Wassertank hinunterlassen. Zugleich können sie mit anderen Leuten in Kontakt kommen, denn in der Sahelzone sind Brunnen Kommunikationszentren. Billig ist das Bremer Verfahren nicht. "Wir schaffen es natürlich nicht, den Kubikmeter Wasser für zwei Mark zu produzieren, so wie in Deutschland", gesteht Räbiger ein. Er weiß aber: "Wo es kein Wasser gibt, ist der Preis zweitrangig." |